Dreiländergiro in den Alpen
25. Juni 2023, Bericht von Ute, Claudia und Martin
Der nachfolgende Bericht dieses Radfahrspektakels wurde aus drei Berichten zusammengefasst. Ute, Claudia und Martin trugen mit ihren Zeilen und Fotos dazu bei.
UTE: „Der Dreiländergiro ist in Nauders das Radfahrer-Event schlechthin. Claudia, Mannix, Martin und ich meldeten uns für die 30. Jubiläumstour an. Mit dabei immer unser persönlicher Coach Hansjörg. Außerdem kamen noch vier radbegeisterte Freunde aus vom Triathlon-Verein Wetterau und aus dem Tria-Team Bruchköbel dazu. Schon in der Woche vor dem Rennen wurden Biketage angeboten, an denen man mit lokalen Größen aus der Radszene Touren fahren konnte. Claudia nahm das Angebot gleich an und fuhr mit Daniel Rubisoier einige Touren. Auch Mannix und ich meldeten uns für eine Cappuccino-Tour an, aber leider für mich viel zu schnell, ich verabschiedete mich nach wenigen Kilometern wieder.“
CLAUDIA: „Als Martin 2022 mit der Idee ankam, wir könnten doch den Dreiländergiro mitfahren, zeigte ich ihm erst einmal einen Vogel: 168 km, 3.300 Höhenmeter – davon 1.900 am Stück auf das Stilfser Joch. So gern ich in den Alpen bin und so sehr ich das Radrennen am 1. Mai genossen habe, habe ich doch gehörigen Respekt davor, ausgesetzte Alpenstraßen mit dem Fahrrad hinunterzufahren. Aber irgendwie setzte sich die Idee doch immer mehr bei mir fest. So suchte ich mir auch ein neues Rennrad mit Scheibenbremsen und fing ab März mit der Vorbereitung an. Allerdings bekam ich selbst im Taunus oder Vogelsberg selten viel mehr als 1.000 Höhenmeter zusammen. Ob das als Vorbereitung reichen würde? Wir quartierten uns bereits eine Woche vorher in Nauders an, zunächst zum Wandern und Akklimatisieren. Spätestens Dienstag wurde mir dann doch recht mulmig. Überall sah ich nur Radfahrer. Ich war noch nie mit dem Rad in den Alpen.“
UTE: „Auf dem Festplatz in Nauders holten wir am Samstag unsere Startunterlagen ab. Endlich traf auch Martin ein, der nur eine Nacht in Nauders verweilen konnte. Der Festplatz war voll mit Radfahrern aus vielen Nationen. So langsam stieg die Anspannung. Diesmal besonders, denn niemand von uns vieren hatte bisher eine so lange Fahrt mit so vielen Höhenmetern zuvor bewältigt. Schließlich wartete der berühmt berüchtigte Anstieg zum Stilfser Joch 🌄🚵. Nach dem gemeinsamen Abendessen gingen wir recht früh auf unsere Zimmer. Alles war schon bereitgelegt. Doch der Kopf ging wieder alles durch, was ziehe ich an, zu warm wollte ich mich nicht einpacken, denn die Wettervorhersage war bestens. Aber wie wird es wohl auf fast 2.800 Metern oben am Stelvio sein?
Geschlafen habe ich nicht berauschend – zu viel Kopfkino. Um 5 Uhr gab es Frühstück, dann machten wir uns langsam auf den Weg in unsere Startblöcke. Alle waren im Startblock 4, nur ich war im Startblock 1 bei den Schnellsten. Immerhin ich war schnell über die Startlinie, wurde aber nach und nach von den anderen eingeholt.“
CLAUDIA: “Mittwochnachmittag und Donnerstag hatte ich mich für zwei Ausfahrten angemeldet, die von den Organisatoren angeboten und dem mehrfachen Dreiländergiro-Gewinner Daniel Rubisoier geleitet wurden, als lockeres Training angekündigt. Hier mitzuhalten war tatsächlich gar kein Problem. Im Gegenteil, ich habe diese Ausfahrten genossen. Denn die Landschaft vor allem im Vinschgau ist einfach wunderschön!
Sonntag früh weckte mich mein Handy um 4:45 Uhr. Die Regenwolken von Vortag waren weggeweht. Der Himmel war klar und blitzblank, echtes Bilderbuchwetter den ganzen Tag. Frühstück gab es extra um 5 Uhr, dann nur wenige Meter hinunterrollen zum Startbereich, der sich rasch füllte. Jacke an oder Jacke aus? Hätte ich doch die längere Radhose anziehen oder Armlinge mitnehmen sollen?
Nach dem Startschuss um 6:30 Uhr dauerte es tatsächlich nur wenige Minuten, bis ich über die Startlinie rollen konnte. So ging es im Pulk die letzten Höhenmeter zum Reschenpass nach Italien und am Reschensee vorbei. Ab dem Reschensee wird der Blick immer schöner. Den versunkenen Kirchturm von Altgraun und den extrem leeren Reschensee hatten wir uns schon bei einer Wanderung in der Woche zuvor angeschaut. Aber der Blick nach Süden zum schneebedeckten Ortler war nie so schön, wie an diesem Tag.“
UTE: “Zuerst ging es von Nauders raus, in den ersten kleinen Anstieg zum Reschensee. Die meisten Gruppen waren zu schnell für mich, ich machte mein Tempo. Über Prad ging es zum Stilfser Joch, nun geht es los. Recht schnell kam dann der Ort Trafoi, ab dort begann es eigentlich erst richtig mit dem Anstieg. Hier konnte man sich verpflegen, noch einmal ausziehen was zu viel war. Ab Trafoi kamen die 48 Kehren, die nicht enden wollen. Der Anstieg ab Trafoi bis zu den Kehren war auch nicht ohne, und immer wieder gab es zwischen den 8-9% Anstieg wieder kleine giftige Anstiege. Nach jeder Kehre hatte man kurz das Gefühl ein wenig Erholung zu spüren. Auch die Höhe und die Anstrengung ging nicht spurlos vorbei. Ab und zu hatte man das Gefühl dass das Herz nicht nur vor Anstrengung schnell schlug, sondern auch die dünne Luft dazu beigetragen hat. Wie bei jeder extremen Anstrengung gab es auch hier kurze Momente wo man sich fragt: Musst du dir das antun? Ja man muss, es ist einmalig sich hochzuschrauben, wenn man die Aussicht noch genießen kann, dann ist sie ein Erlebnis. Ich war gut im Zeitlimit, und so erlaubte ich mir in den Spitzkehren 3x anzuhalten, um Fotos zu machen und meine Schmerzen im unteren Rücken durch kurze Dehneinheiten zu lindern. Das funktionierte sehr gut, und ich konnte entspannt weiterradeln. Die ca. 16 km lange Abfahrt vom Umbrailpass war nicht ohne, aber machbar. Die Abfahrt war eher mental anstrengend, denn hier musste man immer seine sieben Sinne beisammen haben und vorausschauend fahren.“
CLAUDIA: “Der Reschenpass hinunter ins Vinschgau mit Obstbäumen, Weinbau und malerischen kleinen Örtchen und dahinter der Ortler wurde nur durch unangenehmen Seitenwind getrübt. Vielleicht war auch da bereits mein Vorderrad locker geworden, dass ich dann unten erst einmal wieder festzog. Durch den hübschesten und kleinsten Ort, Gluorn, fuhren wir mitten durch nach Prad, dem Einstieg zum Stilfser Joch (2.757 m). Die Passstraße vom Stilfser Joch ist deutlich kleiner als der Reschenpass. Wenn hier zwei Autos einander begegnen, müssen sie schon Acht geben. Dafür liegt sie geradezu versteckt und eröffnet immer spektakulärere Ausblicke auf den Ortler. Die Verpflegungsstelle in Trafoi gegen 8 Uhr ließ ich rechts liegen. Das Frühstück wirkte noch, die Apfelschorle in meinen Flaschen war kaum verbraucht. Dadurch, dass wir noch recht früh dran waren und das Stilfser Joch auf der Schweizer Seite für motorisierten Verkehr gesperrt war, fuhren wir die meiste Zeit in Stille, zunächst auch noch mit recht viel Schatten von Bäumen. Nur kurz vor der Passhöhe meinten zwei polnische Porsche und eine Motorradgang unbedingt jetzt hochfahren zu müssen. Bei den ersten beiden Kehren (sie sind absteigend nummeriert) noch im Wald machte ich die Erfahrung: Die Kehren sind mein Freund, denn nach der Kehre wird es kurz etwas flacher.“
UTE: “In St. Maria teilte sich die Strecke. Mannix und ich bogen auf die Strecke Stelvio Vinschgau 120 km / 3.000 hm ab, währen Claudia und Martin die Strecke Stelvio Engadin 168 km / 3.300 hm in Angriff nahmen. Für Mannix und mich kam noch einmal der 9 km lange Anstieg zum Reschensee, das war auch nicht ohne. Mit Gegenwind und immer wieder fiesen Rampen und das alles in der Sonne, das forderte noch einmal alles von mir. Endlich wir waren oben. Jetzt wieder runter vom Radweg auf die Bundesstraße und nur noch bergab ins Ziel. Geschafft, super Event, super Strecke, alles in allem hat es auch noch Spaß gemacht. Die vielen Ausfahrten auf Mallorca, die Goethe-Tour, der Radmarathon in Bimbach und diverse RFTs mit vielen HM haben sich für Mannix und hauptsächlich mich ausgezahlt.“
CLAUDIA: “Eigentlich ist die Nummer der aktuellen Kehre das Hauptmaß, wie weit es noch ist bis oben. So war ich dann schließlich kurz vor 10 an der Verpflegungsstelle am Stilfser Joch. Dort ließ ich mir bewusst Zeit zum Verschnaufen, ging auf die Toilette, freute mich über die Käsebrote, bekam meines dann aber doch kaum runter. Die Abfahrt vom Stilfser Joch auf der Schweizer Seite ist nur wenige Kehren lang, dann geht es wieder kurz aufwärts zum Umbrailpass, der dann die eigentliche Abfahrt ausmacht. Hier war die Strecke vollständig gesperrt (was auch gut war). Denn es waren wieder enge Kehren und gefühlt deutlich mehr als 48 davon. Die Männer mit stärkeren Nerven und mehr Masse rauschten alle an mir vorbei. Schließlich waren wir doch unten in Santa Maria zur Streckenteilung: rechts für die 120 km zurück ins Vinschgau und Reschenpass, geradeaus zum Ofenpass und Engadin. Inzwischen war es warm geworden – also wieder kurz anhalten und die Jacke nach der Passfahrt wieder ausziehen. Der Ofenpass ist etwas(!) weniger steil als das Stilfser Joch und nicht ganz so hoch: 2.149 m. Die genaue Höhe hatte ich allerdings wieder vergessen, und die Kehren waren hier nicht nummeriert. Aber mein neues Navi zeigte mir freundlicherweise die verbleibenden Höhenmeter zur Passhöhe an. Die Verpflegungsstelle auf dem Ofenpass nutzte ich vor allem zum Trinken und Flaschenauffüllen. Ein paar Salzstangen passten ebenfalls noch rein. Nun war das Schlimmste geschafft. Die Abfahrt ins Engadin war deutlich einfacher, weniger steil. Trotzdem fuhren mir alle Männer davon. Masse gewinnt bergab einfach. Wegen einiger Fahrbahnerneuerungen mit abwechselnd einspurigem Verkehr sammelten sich die Fahrer dann doch wieder vor der Baustelle. Die nächsten 50 km hieß es vor allem Tempo machen und einen passenden Windschatten dafür finden. Das Inntal führt weitestgehend bergab mit wenigen und flacheren Anstiegen. Das mit dem Windschatten im Inntal hat dann nur teilweise geklappt, lange Strecken fuhren die Männer brav hinter mir bei doch unangenehmem Gegenwind. Zwei Mal erbarmte sich dann ein Dreiergrüppchen, so dass ich zumindest die letzten 20 km vor Martina Windschatten hatte. Immerhin bekam ich von einigen Männern Anerkennung für meine Führungsarbeit. Das Wasser an der letzten Verpflegungsstelle in Martina schmeckte ausnehmend gut, vielleicht auch weil mein Durst so groß war. Nun mussten wir noch knapp 400 Höhenmeter über die Norbertshöhe vom Inntal nach Nauders. Jetzt war es eindeutig sehr warm. Aber irgendwann waren auch die letzten 8 Kehren geschafft und wir rollten nur noch hinunter nach Nauders ins Ziel. Dort standen auch Ute und Mannix sowie Sonja und Jürgen, da Ute und Sonja kurz zuvor aus der 120er Vinschgau-Tour zurückgekommen waren. Meine Zeit von 7:52:04 (inklusive Pausen und Baustellenampeln von über einer halben Stunde) reichte dann für Platz 4 in der Altersklasse F50. Für meine allererste Alpenfahrt war das doch gar nicht so schlecht.“ 😉
MARTIN: “Ergänzend zu Utes Bericht möchte ich noch den Teil nach der Streckenteilung in St. Maria beschreiben. In St. Maria ging es gnadenlos in den nächsten Anstieg zum Ofenpass mit 777 Höhenmetern auf 2.149 m. Der Name war Programm es wurde immer heißer, und man spürte bereits die zurückgelegten Höhenmeter. Bei einem kurzen Stopp legte ich zunächst die warme Kleidung ab. Das brachte aber nur kurzfristig Abkühlung. Also ging es langsam weiter bergauf. Dann folgten wieder Pausen und kurze Gehphasen bis zur Passhöhe. Aber ich war oben. Jetzt fragte ich mich, wie soll ich die weiteren knapp 80 km nur überstehen. Ich hatte noch 5 Stunden Zeit, aber der Tank fühlte sich leer an. Die Abfahrt in Richtung Zernez verdient diesen Namen eigentlich nicht. Es verlief wellig mit viel Gegenwind. Immerhin konnte ich eine Dame einholen. Dies gelang mir in der Abfahrt jetzt zum ersten Mal.
In Zernez dann die Reinkarnation an der Labestation (Verpflegung). Der schweizer Magier versorgte mich mit einem schwarzen Elixier (Cola vom Diskounter), das die Lebens- und Radfahrgeister wieder weckte. Jetzt ging es noch ca. 50 km durchs Oberinntal in Richtung Martina. Dank eines Zusammenschlusses von ca. 25 Fahrern konnte ich die Strecke zügig und kraftsparend zurücklegen. Nun fehlten noch 374 Hm und 8 km. Also noch einen Schluck Cola in Martina und auf geht’s. Die sogenannte Norbertshöhe konnte ich flüssig in den ersten zwei Gängen erklimmen. Dann noch ca. 2 km entspanntes Hinabrollen ins Ziel, und fertig machen zum Jubeln. Es war großartig. Im Ziel warteten schon Ute, Claudia, Manfred und Hans-Jörg. Es gab ein glückliches Wiedersehen aller Akteure und die Party begann. Es gab zum Glück bei uns keine Pannen und Unfälle. Was uns ebenfalls sehr glücklich machte. Die Rückreise nach Frankfurt verlief bis auf einen Stau am Fernpass besser als erhofft. So konnte ich 22:50 Uhr meine Fahrrad dankbar aus dem Auto laden.“
Unsere gefahrenen Kilometer und Zeiten:
- Claudia (168 km) – 07:52:04 h
- Martin (168 km) – 08:08:52 h
- Ute (120 km) – 07:50:50 h
- Mannix (120 km) – 07:32:52 h